Nachhaltigkeitskennzeichnung so einfach wie möglich: Forschungsgruppe der DHBW Heilbronn untersucht Kennzeichnungsmöglichkeiten für Lebensmittel

Ein neues Forschungsprojekt der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn hat die Entwicklung einer Kennzeichnung für Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln zum Ziel. Denn viele Konsument*innen möchten ihre Ernährung zwar an ökologischen und sozialen Kriterien ausrichten, ihnen fehlen aber oft Wissen und Informationen hierzu. Erste Ergebnisse der Forschungsgruppe zeigen nun, dass es wichtig ist, die Verbraucherbedürfnisse in der Diskussion um eine branchenweite Nachhaltigkeitskennzeichnung nicht zu vernachlässigen. Gefördert wird das Projekt vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg sowie von dem Lebensmitteleinzelhändler Lidl.

Ist ein Joghurt klimaschädlicher als Quark oder Buttermilch? Während Nährwertangaben auf Lebensmitteln längst gesetzlich vorgeschrieben sind und von
Verbraucher*innen bei der Entscheidungsfindung genutzt werden, sind Informationen über Nachhaltigkeitsaspekte wie etwa den CO2-Fußabdruck von Lebensmitteln nur selten verfügbar, obwohl die Klimagasemissionen für Ernährung in Deutschland fast denen für Wohnen entsprechen. Hinzu kommen zahlreiche weitere ökologische und soziale Aspekte der Lebensmittelerzeugung wie Wasserbedarf oder eine faire Entlohnung für Erzeuger*innen. Um diese negativen Auswirkungen zu reduzieren braucht es zum einen eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten hin zu Produkten mit günstigem ökologischen Fußabdruck (mehr Obst/Gemüse/Hülsenfrüchte, weniger Fleisch und Milchprodukte). Und andererseits eine höhere Nachfrage nach nachhaltiger produzierten Lebensmitteln. Die Vermittlung von Nachhaltigkeitsinformationen für Lebensmittel kann hierzu einen Beitrag leisten und die
Produktauswahl erleichtern. Diese Informationen liegen bislang für Konsument*innen jedoch kaum vor oder sind schwer zugänglich. Ziel des Forschungsprojekts VereNa (Vermittlung relevanter Nachhaltigkeitsinformationen) ist es daher, Empfehlungen für die Zusammensetzung und Darstellung einer Nachhaltigkeitskennzeichnung zu entwickeln, die Konsument*innen eine nachhaltigere Kaufentscheidung ermöglicht.

Die Forschungsgruppe um die beiden Professoren Carolyn Hutter und Carsten Leo Demming aus dem Studiengang BWL-Food Management analysiert dabei verschiedene Gestaltungsmerkmale von Nachhaltigkeitskennzeichnungen. Gefördert wird das Projekt vom Lebensmitteleinzelhändler Lidl, der mit der Unterstützung an ein eigenes Pilotprojekt anknüpft, bei dem im vergangenen Jahr in Berliner Filialen bei ausgewählten Produkten die unabhängig entwickelte Nachhaltigkeitskennzeichnung Eco-Score erstmalig in Deutschland getestet wurde.

Expert*innen und Verbraucher*innen haben unterschiedliche Prioritäten
Nach Abschluss der ersten VereNa-Teilstudie mit Verbraucher*innen und Expert*innen aus Wissenschaft, Politik und der Lebensmittelbranche wird nun deutlich, dass eine Nachhaltigkeitskennzeichnung einfach verständlich ausgestaltet werden sollte, um von Konsument*innen verstanden und genutzt zu werden. Dennoch sprechen sich die in die Studie einbezogenen Expert*innen mehrheitlich für eine umfangreichere Darstellungsform mit mehreren Kategorien wie Wasser, Biodiversität etc. für die Kennzeichnung aus, um der vielfältigen Natur von Nachhaltigkeit gerecht zu werden.
Auf Basis qualitativer Leitfadeninterviews und der Auswertung von Positionspapieren von Verbänden und Interessensvertretungen sowie von  Podiumsdiskussionen zum Thema ist diese Studie eine der bislang umfangreichsten Untersuchungen, die Expert*innen- und Verbraucher*innensicht in Bezug auf Nachhaltigkeitskennzeichnungen zusammenbringt.

Zentrale Ergebnisse der Teilstudie
- Es zeigt sich, dass viele Konsument*innen wenig über die negativen Auswirkungen ihres Lebensmittelkonsums wissen. So ist etwa das Verständnis für Begriffe wie Biodiversität gering und der CO2-Austoß wird nicht in direkte Verbindung mit Lebensmittelproduktion gebracht.
- Dieses Informationsdefizit führt dazu, dass Konsument*innen Aspekte wie Transportwege und Plastikmüll in ihrer Relevanz überbewerten.
- Insgesamt wünschen sich Konsument*innen mehr Informationen und Aufklärung. Es fällt Ihnen jedoch schwer, diese zu verstehen und zu verarbeiten. Ihnen sind daher Kriterien wie „einfach“ und „verständlich“ für eine Nachhaltigkeitskennzeichnung wichtig.
- Die Expert*innen konnten das eingeschränkte Verständnis der Konsument*innen zwar gut einschätzen, sprachen sich dennoch mehrheitlich für eine umfassendere grafische Darstellungsform der Nachhaltigkeitskennzeichnung aus, um die wichtigsten Aspekte in der Kennzeichnung separat ausweisen zu können.
- Empfehlungen für eine Nachhaltigkeitskennzeichnung müssen die Verständnisschwierigkeiten und Fähigkeiten von Verbraucher*innen ausreichend
berücksichtigen und gleichzeitig sicherstellen, dass wichtige Nachhaltigkeitsinformationen mit einbezogen werden.
- Eine erste wichtige Erkenntnis ist daher, dass eine Nachhaltigkeitszeichnung den Spagat zwischen der Verständlichkeit für Konsument*innen einerseits und fachlich notwendiger Detailtreue andererseits leisten können muss.

„Mehrere Expert*innen-Gruppen beschäftigen sich in Deutschland aktuell mit dem Thema Nachhaltigkeitskennzeichnung. Wir möchten mit unseren Erkenntnissen dazu beitragen, dass ein Label nicht an Konsument*innen vorbei entwickelt wird“, so Carsten Leo Demming, einer der Studienleiter. Demming weiter: „Denn eine Nachhaltigkeitskennzeichnung als wichtiger Baustein der Ernährungswende kann nur erfolgreich sein, wenn möglichst viele Konsument*innen diese Informationen auch in ihre
Kaufentscheidungen einfließen lassen.“

Aufgrund des sehr unterschiedlichen Ausgangswissens der Konsument*innen scheint zudem eine umfangreiche Einführung und Erläuterung eines möglichen Labels notwendig, um das Verständnis über den Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Lebensmitteln zu verbessern und damit zum Erfolg des Labels beizutragen. „Eine bereits vor der Einführung
einer Kennzeichnung vorbereitende und später dann begleitende Kommunikation ist dringend notwendig und muss adressatengerecht in unterschiedlichen Medien wie den Handzetteln im Lebensmittelhandel, online aber auch in den Filialen erfolgen“, sagt Studienleiterin Carolyn Hutter. „Dabei sollte das komplexe Thema Nachhaltigkeit in den Alltag der Konsument*innen integriert und anhand konkreter Beispiele, etwa in Form von Rezepten, greifbar gemacht werden.“ Die Verantwortung zur Aufklärung der Konsument*innen könne jedoch nicht allein Aufgabe der Ernährungswirtschaft sein, so Hutter. Die Vermittlung von Wissen über unsere Ernährung sei vielmehr primär eine staatliche Aufgabe und sollte daher bereits im frühkindlichen Alter Inhalt von Bildungsplänen sein.

Nach der qualitativen ersten Teilstudie startet nun die zweite Phase des Forschungsprojekts VereNa mit quantitativen Untersuchungen darüber, welche Inhalte und Formate der Nachhaltigkeitskennzeichnung Konsument*innen in Experimenten am meisten berücksichtigen.

Über das Forschungsprojekt „Vermittlung relevanter Nachhaltigkeitsinformationen“(VereNa)

Die Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln hat gravierende negative Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft, etwa durch Treibhausgasemissionen. Für eine nachhaltigere Ausrichtung des Lebensmittelsektors bedarf es deshalb einer höheren Nachfrage nach umwelt- und sozialverträglich produzierten Lebensmitteln. Die Vermittlung von Nachhaltigkeitsinformationen für Lebensmittel kann hierzu einen Beitrag leisten, jedoch liegen diese Informationen bislang für Konsument*innen kaum vor, sind uneinheitlich oder schwer verständlich. Ziel des Forschungsvorhabens ist die Entwicklung einer verständlichen Lebensmittelkennzeichnung, die nachhaltigere Konsumentscheidungen ermöglicht. Die Leitfragen des Forschungsprojekts beziehen sich auf die Gestaltung und Verständlichkeit der angestrebten Nachhaltigkeitskennzeichnung, die Evaluation von analogen und digitalen Darstellungsoptionen sowie die Analyse von Nachfrageeffekten der gekennzeichneten Produkte.

Projektdauer: 2 Jahre
Start: 01.12.2021; Ende: 30.11.2023