Vierjähriges EU-Forschungsprojekt zu alkoholfreien und legeren Weinen abgeschlossen

Blickt man auf die neueste Foodtrend-Studie, dann befinden sich die alkoholfreien Weine und Biere unter den 10 wichtigsten Tendenzen für 2023. Was heißt das für die Winzer*innen in Baden-Württemberg? Im Forschungsprojekt WEINNOVA hat die siebenköpfige Forschungsgruppe der DHBW Heilbronn gemeinsam mit dem Leadpartner Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband e.V. und den Forschungspartnern LVWO Weinsberg und dem Staatlichen Weinbauinstituts Freiburg e.V. untersucht, wie sich für Leicht- und Stillweine neue Marktpotentiale erschließen lassen. Mit dabei waren 36 Partner der baden-württembergischen Weinwirtschaft (darunter Erzeuger, Genossenschaften, Institute, Verbände). Das Projekt wurde mit 730.000 Euro von der Europäischen Innovationspartnerschaft für landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit (EIP-AGRI) gefördert.

Alkoholfreie und alkoholreduzierte Getränkeinnovationen bestimmen zunehmend den Getränkemarkt in Deutschland. Seit 2003 lässt sich in Deutschland ein Rückgang des Pro-Kopf-Konsums alkoholischer Getränke beobachten. Immer mehr Verbraucher*innen streben nach einem bewussten und gesunden Lebensstil und reduzieren deutlich ihren Alkoholkonsum. Welches Potential diese Entwicklung für die Baden-Württemberger Winzer*innen bietet, das hat die DHBW Heilbronn gemeinsam mit ihren Forschungspartnern in einem vierjährigen EU-finanzierten Projekt untersucht.

Von allen Perspektiven aus betrachtet
Das Team rund um Forschungsleiter Prof. Dr. Günter Käßer-Pawelka verfolgte einen multidimensionalen Forschungsansatz, um den Markt und das Konsumentenverhalten von allen Seiten aus zu betrachten. Dabei beantworteten sie viele Fragen: Wie muss ein alkoholfreier Wein schmecken, damit er akzeptiert wird? Wie müssen die Etiketten gestaltet sein? Welche Platzierung sollten die Weine im Regal haben? Aus welchen Gründen verzichten Konsument*innen auf Alkohol? Und welche Zielgruppen ergeben sich daraus?

Technologie mit Tücken
Die Rebsorte spielt bei der Verarbeitung zu alkoholfreien Weinen eine wichtige Rolle: Rebsorten wie Riesling, Muskattrollinger oder Merlot verkraften es eher, dass mittels Vakuumdestillation Alkohol entzogen wird Andere Sorten wie Weißburgunder oder Schwarzriesling reagieren empfindlicher. „Das Problem ist, dass bei der Entalkoholisierung etwa 20 Prozent der Aromen verloren gehen“, so die wissenschaftliche Leiterin Sensorik Dr. Cornelia Klug. Gemeinsam mit dem Expertenpanel entwickelte die Forschungsgruppe daher für die alkoholfreien Weine ein eigenes Aromenrad, dass die 45 identifizierten Aromen ganz anders gewichtet als bei klassischen Weinen.

Die dreißig Sensorikexpert*innen analysierten 25 am Markt erhältliche Weine der Projektpartner*innen aus der Weinwirtschaft anhand der Farben, Aromen, Harmonie, Mundgefühl und des Körpers. Parallel wurden die gleichen Weine von einem Konsumentenpanel verkostet. „Schon während des Projekts konnten die Erkenntnisse in der Produktion umgesetzt und z.B. die Süße-Säure-Balance (Harmonie) angepasst werden“, so Klug. Doch es ist schwierig, alkoholfreie Weine und klassische Weine direkt zu vergleichen. Der Leiter des Forschungsprojekts Prof. Dr. Günter Käßer-Pawelka empfiehlt, die alkoholfreien Weine als eigene Kategorie zu definieren.

Hohe Preisbereitschaft
Was erstaunte, war die Bewertung durch die Konsument*innen. 64 Prozent der Proband*innen aus Wein- und Nichtwein-Regionen beurteilten die verkosteten Weine überwiegend positiv, Tobias Moll, Vertreter des Lead-Partners bwgv, reagierte überrascht: „Was uns freute, war sicher die Preisbereitschaft der befragten Kund*innen, die im Schnitt 5 bis7 Euro für eine Flasche alkoholfreien Wein zahlen würden.“ Der sogenannte Idealpreis für einen Wein ohne Prozente liegt mit 5,20 Euro um 1,30 Euro höher als bei klassischen Weinen. Dass der Preis beim Kauf keine Rolle spielte, bestätigten auch die Tests zur Markteinführung in den Regalen verschiedener Lebensmittelhändler. „Weniger als die Hälfte der Proband*innen schauten auf das Preisschild“, so die wissenschaftliche Leiterin Marktforschung Prof. Dr. Yvonne Zajontz zum experimentellen Versuchsdesign mit der Eye-Tracking-Brille. Über 100 zufällig ausgewählte Kunden erhielten eine Eye-Tracking-Brille und wurden gebeten, alkoholfreie Weine im Lebensmittelhandel im Regal zu suchen und einen Wein aus dem Angebot auszuwählen.

Handlungsempfehlungen: Barrieren abbauen durch Probieraktionen
„Momentan sind entalkoholisierte Weine noch ein Randprodukt, aber im Gegensatz zu den letzten Jahren haben viele Genossenschaften die Produkte in ihr Portfolio aufgenommen oder spielen mit dem Gedanken, das in naher Zukunft zu tun“, so die Einschätzung von Winzer Tobias Moll.

Dass alkoholfreie Weine bei den Kund*innen kaum bekannt sind, zeigte auch die Konsumtenbefragung. Weniger als 25 Prozent hatten in den letzten zwölf Monaten einen alkoholfreien Wein gekauft. Doch die Mehrheit mochte den Geschmack. Auch mehr als die Hälfte der Proband*innen in den Märkten haben die Flasche im Anschluss mitgenommen und wollten ihn auf jeden Fall probieren. Das Forschungsteam empfiehlt daher, die Probieraktionen und Verkostungen auszuweiten und an allen Touchpoints anzubieten: in den Genossenschaften, im Markt, in der Gastronomie oder am Verkaufsstand.

Den Kauf erleichtern - und neue Zielgruppen erschließen
Die Mehrheit der Konsument*innen für alkoholfreie Weine ist jung, weiblich und entscheidet je nach Situation, ob sie zu alkoholfreien Varianten greift. Der Hauptgrund, auf Alkohol zu verzichten, ist immer noch die Fahrt im Straßenverkehr. Dahinter folgen Gesundheitsbewusstsein und die Lust auf neue Geschmackserlebnisse.

Doch die Gewohnheit ist der größte Feind des Neuen, das trifft auch auf neue Weinprodukte zu. 64 Prozent der Befragten bleiben lieber beim altbekannten klassischen Wein. Ein Drittel der Befragten allerdings vermisst die alkoholfreie Variante der Lieblingssorte und 40 Prozent ist die Suche zu aufwändig. Hier zumindest schaffen die Ergebnisse der Studie Abhilfe: Die Blockplatzierung verschiedener alkoholfreier Weine im Regal führte dazu, dass die Weine viel schneller gefunden wurden und weniger Rückfragen ans Personal nötig waren. Gerade für Neueinsteiger kann die Blockplatzierung eine Lösung sein. Für Markenkenner sollte man die Suche unter der Marke oder beim Weingut durch Kundenstopper oder Flaschenanhänger erleichtern.

Zum Ende des Projekts wird im Studiengang Wein – Technologie – Management eine E-Mail-Adresse geschaltet, an die sich die Projektpartner*innen mit ihren Fragen wenden können. Jetzt sind die Akteure der Weinbranche am Zug, die Vorschläge aus dem Projekt aufzugreifen und umzusetzen.