Neue Delphi-Studie zur personalisierten Ernährung: Forschungsgruppe der DHBW Heilbronn veröffentlicht Prognosen

In der neuesten Delphi-Studie zum Trendthema „Zukunft der Personalisierten Ernährung “kommen 98 Expert*innen zu Wort. Die Ergebnisse lassen hoffen: In der Zukunft haben wir alle eine Chance, von der personalisierten Ernährung zu profitieren und gesünder zu leben. Die DHBW-Forschungsgruppe hat alle aktuellen Entwicklungen unter die Lupe genommen, kategorisiert und bewerten lassen. Die Delphi-Studie ist Teil des drei Jahre andauernden Forschungsprojekts „Personalisierte Ernährung“ der DHBW Heilbronn. Fördergeber sind Regio (CAT) der Landesregierung und die Dieter Schwarz Stiftung.

Die Methode
Eine Delphi-Studie ist eine anerkannte Methode der Sozialforschung. Sie kommt beispielsweise dann zum Einsatz, wenn es darum geht, erste Prognosen zu möglichen Trends und Entwicklungen abzugeben. Die vorliegende Delphi-Studie wurde in zwei Stufen erarbeitet: Nach qualitativen Erhebungen in Form von 41 leitfadengestützten Expert*innen-Interviews in der ersten Stufe wurde als zweite Stufe eine quantitative Befragung mit einem standardisierten Fragebogen von 98 Expert*innen durchgeführt.

Zehn zentrale Aussagen auf einen Blick

  1. Die Zusammenarbeit über angrenzende Fachgebiete hinweg, wie zum Beispiel Technologie, Ernährungswissenschaft, Kommunikation, Verbraucherschutz, Medizin, Handel und Industrie, wird zum wichtigen Faktor.
  2. Aus der Vielfältigkeit der Anwendungsbereiche als präventive und therapeutische Maßnahme sowie im Profisport ergibt sich eine Relevanz von Personalisierter Ernährung für alle Altersgruppen der Bevölkerung.
  3. Personalisierte Ernährung findet zunächst im eigenen Haushalt, innerhalb der Familie statt. Einzelhandel, Delivery Services und Gemeinschaftsverpflegung stellen darüber hinaus wichtige Versorgungssysteme dar und bieten ein weiteres Potential für Personalisierte Ernährung.
  4. Für Genom, Epigenom und Mikrobiota als Basis für individuelle Ernährungsempfehlungen zeigt sich die wissenschaftliche Evidenz noch als zu gering, um seriöse Empfehlungen auszusprechen. Vielmehr sind der Phänotyp sowie Faktoren der Lebenssituation zu berücksichtigen.
  5. Technologie spielt eine wichtige Rolle und wird sowohl bei der Messung und Aufbereitung von Daten, als auch bei der Abgabe von individuellen Empfehlungen an Verbraucher zentrale Bedeutung erlangen.
  6. Konzepte der Personalisierten Ernährung in digitaler Form sollten mit persönlicher Beratung Hand in Hand gehen.
  7. Um als präventive Maßnahme effektiv wirken zu können, müssen Konzepte der Personalisierten Ernährung für jeden erreichbar, nutzbar und finanzierbar sein.
  8. Vertrauen in den Datenschutz wird für die Akzeptanz Personalisierter Ernährung erfolgsentscheidend sein
  9. Zielgruppengerechte Kommunikation wird das Bewusstsein in allen Bevölkerungsgruppen für Relevanz, Nutzen und Umsetzung der Personalisierten Ernährung wecken.
  10. Personalisierte Ernährung wird nicht unmittelbar im stationären Handel stattfinden, aber die Digitalisierung des Handels wird den Datenzugang für personalisierte Ernährungskonzepte vereinfachen.

Einsatzgebiete der Personalisierten Ernährung:
Bereits jetzt gibt es zwei Gebiete, in denen die personalisierte Ernährung seit Jahren Anwendung findet: in der Therapie von Krankheiten und im Profisport. Das sind auch zwei der Gebiete, die nach Ansicht der Expertinnen in Zukunft von der Entwicklung der Personalisierten Ernährung profitieren werden. 

Personalisierte Ernährung für alle
Aber auch beim Thema Prävention – und zwar über alle Bevölkerungsschichten hinweg – wird das Thema einer individualisierten Ernährung eine immer größere Rolle spielen. Davon sind 63 Prozent der Expert*innen überzeugt. Dazu ist es allerdings notwendig, dass auch die anderen Prognosen greifen: die Weiterentwicklung der Technologie, mehr Vertrauen in den Datenschutz und ein leichter und finanzierbarer Zugang zu Konzepten der Personalisierten Ernährung für alle Bevölkerungsgruppen.

Personalisierte Ernährung als App
Schon jetzt ist eine erste Entwicklung absehbar: Die klassische Ernährungsberatung durch Diätassisstent*innen, Ökotropholog*innen und Ärzt*innen hat sich auch in den digitalen Raum verlagert. Die therapeutische Unterstützung entwickelt sich auf der digitalen Ebene weiter und ist bereits als digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) auf Rezept erhältlich. Es wird erwartet, dass sich das Feld der Anwendungsfälle weiter verbreitert und sich DiGAs als Teil der Gesundheitsversorgung etablieren werden. Einer repräsentativen Befragung vom Januar 2022 zufolge sind etwa 10,5 Millionen gesetzlich Versicherte bereit, DiGAs zu nutzen (EY 2022).

«Die personalisierte Ernährung ist als App-Anwendung gut umsetzbar», sagt Prof. Dr. Katja Lotz. Schon jetzt sinken die Vorbehalte unter den Ärzten, die Bekanntheit unter Patienten steigt und das Feedback der Nutzer sei bisher überwiegend positiv. Doch Lotz hält drei Punkte für unverzichtbar: Daten sollten auf einer unabhängigen Plattform gespeichert werden, die digitale Anwendung sollte wissenschaftlich konform sein und der Schutz der Daten sollte garantiert sein. Damit stimmt Lotz mit der Mehrheit der Expert*innen überein.

Wo wird Personalisierte Ernährung stattfinden?
Die Expert*innen sind der Meinung, dass Personalisierte Ernährung vor allem im eigenen Haushalt, also innerhalb der Familie (78%), eine Rolle spielen wird, danach folgen der Einzelhandel (38%), die Delivery Services und die Gemeinschaftsverpflegung (jeweils (34%) Dennoch essen nach Schätzungen täglich 16 Millionen Menschen in einer Einrichtung für Gemeinschaftsverpflegung. Dadurch ergibt sich ein großes Potential für präventive Maßnahmen. „Denkbar ist zum Beispiel folgendes Szenario: In einer digitalisierten Kantine - wie es heute schon beim SAP-Konzern der Fall ist – können per App die Mahlzeiten vorbestellt und bezahlt werden. Dabei kann die App persönliche Daten der Mitarbeiter speichern und Vorschläge anhand des Menüs erstellen, zum Beispiel die Portionsgrößen und die Fleischsorte empfehlen“, so Lotz über Zukunftsszenarien in der Gemeinschafts-Gastronomie.

Datenerfassung entwickelt sich immer weiter
Bereits heute gibt es Wearables von unterschiedlichen Anbietern, die u.a. Bewegung, Puls und Blutdruck messen und sogar ein EKG ableiten können. Die Nutzung so genannter „Real World-Daten“ wird die Personalisierte Ernährung, so die Expert*innen, voranbringen. Aber auch hier sind neue Verfahren denkbar, die z.B. den Blutzuckerspiegel messen und daraufhin direkte Empfehlungen geben können. In Südkorea und den USA haben Wissenschaftler einen Sensor entwickelt, der den Blutzucker anhand von Hautschweiß misst. Zwar ist dieses Wearable derzeit das erste seiner Art, aber auch Forschergruppen an anderen Stellen auf der Welt arbeiten derzeit an nicht-invasiven Möglichkeiten zur kontinuierlichen Glukosemessung.

Senioren im Blickpunkt
„Um vor allem im Alter gesund zu bleiben, kann eine optimierte Ernährung viel Unterstützung leisten: Krankheiten wie Diabetes II, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen können durch eine gesunde Kost vermieden werden“, so die Ökotrophologin Lotz. Das größte Hindernis, um die Ernährung langfristig umzustellen, sind mangelndes Interesse und Motivation. „Doch hier kann das sogenannte „nudging“ weiterhelfen“, so Lotz. Nudging ist eine Methode, die Menschen sanft und ohne Zwang zu einer Verhaltensänderung bringt. Ernährungs-Apps arbeiten mit den sogenannten „nudges“: Die Möglichkeiten sind vielfältig und reichen vom Zählen der Schritte, über die Erinnerung ans Wassertrinken, Kalorienzählen und den Gewichtsvergleich.

Funktioniert das auch bei Senioren? Aktuelle Studien zeigen, dass die sogenannte digitale Lücke immer kleiner wird. Laut dem deutschen Alterssurvey ist zwischen 2017 und 2020 der Anteil der 76-90-Jährigen mit Zugang zum Internet angestiegen und liegt bei 52% (davon 36% mobiles Internet). In der nächst jüngeren Altersgruppe, den 61-75-Jährigen, haben bereits 92% einen Internetzugang (davon 63% mobiles Internet). Momentan entwickeln Forscher der Universität Oldenburg ein Assistenzsystem, das Senioren dabei helfen soll, sich durch richtige Ernährung und Bewegung mehr Lebensqualität zu bewahren. „Gerade im Alter kann Bewegung und eine vitamin- und nährstoffreiche Ernährung viel zur Lebensqualität beitragen“, so Forscherin Katja Lotz.

Das gesamte Forschungs-Paper kann unter www.food-management.online heruntergeladen werden.