Mentaler Stress im Profisport: Sportbusinesstalk thematisiert Druck und psychische Gesundheit

Noch vor einigen Jahren wurden Betroffene stigmatisiert und mentale Probleme nur hinter vorgehaltener Hand besprochen. Vorfälle wie der Suizid von Robert Enke rückten die mentale Gesundheit im Profifußball in den Fokus der Öffentlichkeit. Nicht zuletzt Events wie der Sportbusinesstalk beim 20. Sportmanagement Cup Deutschland helfen, das Thema offen zu diskutieren und besser zu verstehen. Dafür haben die Studierenden des Kurses Sportmanagement hochkarätige Talkgäste eingeladen: Dr. Jan Mayer, Sportpsychologe beim TSG Hoffenheim, Dr. Tim Fritzenschaft, Experte für People, Culture und Strategy, Thomas Irle von asics und der ehemalige Profikicker und Scout, Speaker und Botschafter der TK Daniel Engelbrecht.

Die Ursachen für mentale Probleme sind vielfältig, aber im Profisport treffen viele Einflüsse aufeinander: eine sehr hohe körperliche Belastung, wenig Freizeit, viel Stress, ein starker Konkurrenzdruck, vor allem unter Mannschaftskameraden und Freunden. Zudem identifizieren sich Top-Athleten in ihrer Persönlichkeit zuerst über den Sport und knüpfen ihre Identität an sportliche Erfolge. Das führt dazu, dass Sportler Angst haben ihren Platz in der Stammmannschaft zu verlieren und eine Erkältung schon mal verschweigen. Das kann allerdings zu größeren Problemen führen, das merkte auch Daniel Engelbrecht 2013 im Spiel der Stuttgarter Kickers gegen Rot-Weiß-Erfurt. Der Spieler brach in der Folge eines Herzstillstands auf dem Platz zusammen und konnte wieder reanimiert werden. 

Erfolgreich neue Identität aufgebaut: Vom Profisportler zum Mental Coach und Scout 
Dieser Schicksalsschlag hatte jedoch nicht nur Auswirkungen auf seine physische Leistungsfähigkeit: Nach der Nahtoderfahrung litt Engelbrecht immer wieder unter Angstzuständen und Panikattacken. Unterstützung durch einen Psychologen lehnte er zunächst ab. Doch es wurde schlimmer. Als seine Verfassung auch seine Familie belastete, erkannte er, dass er dringend auf Hilfe angewiesen war. Jetzt ist Engelbracht nicht nur Scout im Profifußball, sondern auch Speaker für mentale Gesundheit und Resilienz und Botschafter der Techniker Krankenkasse. 

Jeder ist anders: Unterstützung in der Prävention und Behandlung 
Dr. Jan Mayer, Sportpsychologe beim Bundesligisten TSG Hoffenheim und Leiter der TSG Akademie bestätigt, dass jeder Sportler nicht die gleiche psychische Konstitution besitzt und individuell betreut werden muss. „Es gibt Fußballer, die kicken wie ein junger Gott, haben aber eine schwierigere Persönlichkeit.“ Strategien zur Stressbewältigung können helfen und unterstützen. Für Jan Mayer ist der Profisport in den letzten 25 Jahren weit gekommen: Damals war es noch uncool, sich mit Psychologen zu unterhalten, seit 2006 sind Sportpsycholog*innen fester Bestandteil von Leistungszentren und Profiteams. Mit neuen Programmen ist das TSG Research Lab dabei, die Angebote und Anlaufstellen für die Spielerinnen und Spieler stetig weiter auszubauen, um ihnen ein Umfeld zu bieten, in dem sie sich bei Bedarf öffnen können. 

Mehr Forschung notwendig
Doch das Thema ist noch lange nicht dort angekommen, wo es hingehört. Gerade Männer lassen sich oft von einem toxischen Männerbild leiten und haben – im Gegensatz zu Frauen – Schwierigkeiten, Probleme zuzugeben. Doch das ist notwendig, um Erkrankungen nicht nur zu behandeln, sondern vorzubeugen. Dafür hat der TSG eine App entwickelt, die die physische und psychische Verfassung der Mannschaft über den Saisonverlauf aufzeichnete. Auch Daniel Engelbrecht wünscht sich nicht nur mehr Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst, sondern auch mehr fundierte Forschung in diesem Bereich. 

Mentale Fitness im Unternehmen
Mentale Gesundheit im Unternehmen ist – ähnlich wie im Sport – ein vielschichtiges Thema. Darüber waren sich Dr Tim Fritzenschaft von Intersport und Thomas Irle von asics einig. Gesellschaftliche Entwicklungen und Rahmenbedingungen im Unternehmen entscheiden darüber, ob sich ein Mitarbeiter wohlfühlt oder nicht: eine Überforderung durch die ständige Erreichbarkeit, zu viel oder zu wenig Kontrolle, Änderungen durch Re-Organisation, aber auch die Flexibilität der Arbeitszeiten oder die Mögllichkeit, im Home Office zu arbeiten. 

Thomas Irle ist Regional Director in einer Firma, die sich mit dem Motto „Gesunder Geist in einem gesunden Körper“ unter dem Namen asics in Japan gegründet hat. Untersuchungen der Firma haben ergeben, dass 15 Minuten und 9 Sekunden Bewegung ausreichen, um sich positiv gestimmt zu fühlen. Viele verbringen aber mehr Zeit vor dem Bildschirm als sich zu bewegen. Der größte Gegner des Körpers ist der Schreibtisch, so das Fazit einer Kampagne von asics mit dem britischen Schauspieler Brian Cox. „Fuck the fruits“ shiftet den Fokus weg vom Obstkorb hin zu mehr Bewegungsangeboten für Mitarbeiter - auch für mentale Fitness. Asics arbeitet außerdem mit dem niederländischen Start-up „Open up“ zusammen, das Möglichkeiten für anonyme Beratungsgespräche liefert. 

Tim Fritzenschaft wünscht sich in seinem Unternehmen ein stärkeres Bewusstsein für die Themen Stress, Resilienz und mentale Gesundheit. Wenn Intersport der Belegschaft Online-Angebote zu diesen Themen unterbreitet, werden sie noch nicht so zahlreich angenommen. Selbstfürsorge sollte für jeden wichtig werden. Aber auch die Führungsebene soll geschult werden, um die Symptome zu erkennen und adäquat zu reagieren. 

Professionell moderiert wurde der Talk von Nico Zartmann, dualer Student bei 11Teamsports, der zum ersten Mal in einer Vorlesung von Studiengangsleiter Prof. Dr. Dirk Schwarzer auf das Thema gestoßen war. Auch für ihn war der Abend eine „Performance under Pressure“  - seine erste Moderation in einem vollbesetzten Forum auf dem Bildungscampus. Vor einem sportbegeisterten Publikum zu moderieren, auf Zeit und Rhythmus der Diskussion zu achten, gründlich im Vorfeld zu recherchieren und dann punktgenau zu liefern – das war eine Aufgabe, die er mit Bravour gemeistert hat. 

Fotos: Studio Seventyfour