Das Zweiwerthuhn DHBW-Praxisprojekt erkundet regionale Wertschöpfungsketten in der Geflügelzucht

Die eierlegende Wollmilchsau kennt jede*r – aber haben Sie schon einmal etwas vom „Zweiwerthuhn“ gehört? Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man in der Geflügelhaltung immer mehr auf hoch spezialisierte Hühnerrassen gesetzt, die eine möglichst hohe Anzahl an Eiern produzieren – und so als Legehennen dienen. Masthähnchen hingegen wachsen sehr schnell und werden daher als Fleischlieferanten genutzt. Während die ausschließlich weiblichen Legehennen nach ca. 15 Monaten als Suppenhuhn enden, lebt ein Masthähnchen zwischen 28 und 42 Tage, bevor es geschlachtet wird. Die beliebtesten und meistverkauften Teile sind Brust, Schenkel und Flügel. In Deutschland gab es 2022 einen durchschnittlichen Bestand von 44 Mio. Legehennen (Quelle: Statist. Bundesamt) und es werden jährlich etwa 620 Millionen Masthühner geschlachtet, Tendenz steigend (Quelle: wwf).

Warum Zweiwerthühner?
Um den negativen Folgen dieser Massentierhaltung entgegen zu wirken, hat man sich in der Biohaltung entschieden, zu sog. Zweiwerthühnern zurückzukehren: Sie liefern sowohl Eier als auch Fleisch. Dies bedeutet eine deutlich langsamere Aufzucht und artgerechte Haltung der Tiere. Statt Sojaschrot aus Südamerika werden heimisches Rapsschrot und regionale Hülsenfrüchte verfüttert. Die Tiere haben etwa doppelt so viel Platz. Zweiwerthühner werden meist von Biobetrieben gehalten. Europas größte Herde hält derzeit allerdings ein sogenannter konventioneller Legehennenhalter.

Eine regionale Wertschöpfungskette aufbauen
Der Verband Naturland untersucht zusammen mit der Universität Hohenheim, wie man in Baden-Württemberg eine regionale Wertschöpfungskette für das Zweiwerthuhn aufbauen und gestalten könnte. Das EIP Agri-Projekt „ZweiWert“ wird von der Europäischen Union und dem baden-württembergischen Ministerium für Ernährung, ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) gefördert. Infos unter https://www.zwei-wert.de/ 

Obwohl viele Verbraucher*innen bereit sind, für Tierwohl und artgerecht erzeugtes Fleisch und Eier mehr Geld auszugeben als für konventionelle Erzeugnisse, sind die bestehenden Produktions- und Lieferstrukturen noch nicht ausreichend, um zuverlässige Wertschöpfungsketten zu etablieren. Auch die Vermarktung ist für die Erzeuger und Verarbeiter, den Handel und die Gastronomie nicht immer wirtschaftlich. 

Hier setzt das Projekt „ZweiWert“ an, untersucht die bestehenden Netzwerke und entwickelt sie weiter: Wie können Erzeuger, Schlachter, Handel, Gastronomie und Verbraucher zusammenwirken, um allen Akteuren faire Bedingungen zu bieten? Was wissen Verbraucher*innen über die Produktion von Geflügelfleisch und Eiern, und wie kann man ihnen die Entscheidung für ökologisch erzeugte und hochwertige Produkte näherbringen?

Praxisprojekt zur regionalen Vermarktung
Diesen Fragen und Herausforderungen stellten sich dual Studierende Food Manager*innen der DHBW Heilbronn im letzten Theoriesemester: „Hier können sie die Kenntnisse und Erfahrungen aus ihrem Studium und den Praxisphasen im Betrieb unter realen Marktbedingungen erproben und einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung der regionalen Wertschöpfungsketten leisten“, beschreibt Studiengangleiterin Prof.in Dr.in Jutta Maute die Aufgabe für ihre Sechstsemester. 
Als Co-Dozentin für das Praxisprojekt „Wie den Mehrwert von Zweinutzungshühnern ‚rüberbringen‘?“ hat sie Dr.in Beate Gebhardt, Leiterin des Arbeitskreises BEST** an der Universität Hohenheim und wissenschaftliche Mitarbeiterin im „ZweiWert“-Projekt, gewonnen. Außerdem sind Vertreter*innen von Naturland (Verband für ökologischen Landbau e. V., gegr. 1982) und regionale Händler, Gastronomen und Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung beteiligt. Die Studierenden konnten sich von der Haltung der Zweiwerthühner bei Thomas Schumacher in Konstanz und auf dem Hönig Hof in Mühlingen selbst ein Bild machen. Außerdem haben sie das Fleisch selbst im Kulinarik-Labor der DHBW Heilbronn zubereitet und verkostet – der Geschmack überzeugt, sie empfehlen es auf alle Fälle weiter.

In vier Gruppen haben sich die dual Studierenden Gedanken darüber gemacht, wie Fleisch und Eier der Zweiwerthühner an der Frischetheke und in den Regalen von Supermärkten, in der Gastronomie und in der Gemeinschaftsverpflegung angeboten und nachhaltig vermarktet werden können. Und zwar ganz konkret in den Betrieben von EDEKA Ueltzhöfer, im Restaurant „Beichtstuhl“ und in der Mensa am Bildungscampus, die vom Studierendenwerk Heidelberg betrieben wird. Jede Gruppe hatte die Aufgabe, auf der Basis einer Kundenbefragung ein möglichst realistisches und umsetzbares Business Modell zu entwickeln. Dabei standen Vertreter*innen der Partnerbetriebe den Studierenden als Infoquelle und für Coachings zur Verfügung. So sind vier spannende Business Modelle entstanden, die die wichtigsten Stationen der Wertschöpfungskette beschreiben, den Nutzen für die Kunden, notwendige Ressourcen, die Finanzierung, das Marketing und die Umsetzungschancen.

Produkt- und Vermarktungsideen für regionale Betriebe
So hatten die Studierenden folgende Produkt- und Vermarktungsideen für die EDEKA-Supermärkte und ihre Frischetheke: 10er Pack ZweiWert-Eier zu vergleichbarem Preis wie andere Bioprodukte, ganze Hähne an der Frischetheke, dazu Hühnerfond und -suppe, Hühnerfrikassee und Maultaschen als Convenience-Produkt unter der bereits bekannten EDEKA-Dachmarke „Kuechenwerk“.

Da die Lieferketten zum Teil bereits etabliert sind und sowohl Verfügbarkeit als auch Preise denen vergleichbarer Produkte ähneln, wäre eine Markteinführung der ZweiWert-Produkte denkbar. 
Auch für die gehobene Gastronomie im Restaurant „Beichtstuhl“ haben die künftigen Food Manager ein überzeugendes und zugleich verführerisches Konzept entwickelt: Bei einem exklusiven Fünf-Gänge-Menu genießen die Gäste insbesondere das Fleisch des Zweiwerthuhns. Zusammen mit ausgesuchten Weinen oder alkoholfreien Getränken lernen sie die Haltungsbedingungen kennen und können sich mit den Lieferanten austauschen. Auch dieses Projekt ließe sich im üblichen Kostenrahmen verwirklichen, eine Integration des innovativen, regionalen Angebots in die Karte des Gastrobetriebs wäre denkbar. 

Da in der Gastronomie aufgrund strenger Hygienebestimmungen vielfach Vollei aus Tetrapacks verwendet wird, ist die Vermarktung des Fleisches hier einfacher - die Eier sind deutlich schwieriger zu vermarkten. Dies ist auch eine der Herausforderungen, denen sich die Betreiber der Mensa am Bildungscampus gegenübersehen würden: In der Gemeinschaftsverpflegung gibt es keine Möglichkeit, die rohen Eier des Zweiwerthuhns zu verarbeiten, diese müssten anderweitig genutzt oder verkauft werden. Da auch weitere Ressourcen wie Platz zur Verarbeitung der Hühner und vielfach auch geschultes Personal fehlen, haben die Studierenden hier über eine Modifikation des Angebots, z.B. die Wieder-Einführung eines Tagesgerichtes in der Mensa nachgedacht, um eine Realisierung zu ermöglichen. Auch die knappe Preiskalkulation stellt eine große Herausforderung dar – das Fleisch wäre im Vergleich zu den übrigen Gerichten teurer, könnte also nur selten angeboten werden. Möglicherweise ließe sich dies in Betriebskantinen von regionalen Firmen leichter umsetzen, die im Einkauf höchstwahrscheinlich flexibler agieren könnten. 

Fazit
Dies sind nur einige der Fragen und Herausforderungen, die die Sechstsemester zu lösen versuchten: Komplexe, erklärungsbedürftige Produkte wie Fleisch und Eier vom Zweiwerthuhn sind noch zu wenig bekannt, sie müssen dem Verbraucher (und selbstverständlich auch den Mitarbeitenden in Handel und Gastronomie) erklärt und nähergebracht werden.  Der Markt befindet sich erst in der Entstehung, so dass die Lieferketten noch nicht fest etabliert sind. Produzenten und Verarbeiter (Schlachter) gehen ein nicht unerhebliches Risiko ein, wenn sie ihre Produktion ausweiten. 
Daher kommt der Kommunikation und dem Marketing eine wichtige Rolle zu: Werte wie Nachhaltigkeit, Tierwohl und Regionalität müssen den Akteuren und Verbrauchern vermittelt werden, um die gewünschte Akzeptanz und Zahlungsbereitschaft zu erreichen. Wer die Geschichte des Zweiwerthuhns kennt und Gelegenheit hatte, Fleisch und Eier zu genießen, der wird bewusster einkaufen und auch höhere Preise akzeptieren, so die Erwartung. 

Das Praxisprojekt mit den dual Studierenden, regionalen Betrieben und Händlern hat auf jeden Fall bereits Früchte getragen, ist sich Dr.in Beate Gebhardt sicher: „Im Rahmen des Seminars hatten etliche Akteure in der Region Gelegenheit, sich kennenzulernen und auszutauschen. Daher hoffen wir, die bestehenden Potentiale der leckeren Eier und des geschmackvollen Hühnerfleischs nutzen und ausbauen zu können. Möglicherweise lassen sich Produktionssteigerungen initiieren, so dass Fleisch und Eier der Zweiwerthühner weitere Marktanteile gewinnen werden.“

 

** Arbeitskreis Business Excellence and Sustainability Transformation: Der Arbeitskreis Business Excellence and Sustainability Transformation (BEST) am Fachgebiet Agrarmärkte der Universität Hohenheim befasst sich praxisorientiert mit der Exzellenz von Unternehmen und den dafür geeigneten Bewertungs- und Kommunikationsinstrumenten, die zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen können.